Die Strukturprobleme des deutschen Eishockeys

Dank eines Sieges beim Deutschland-Cup und dem zweimaligen Einzug in das Viertelfinale einer Weltmeisterschaft gelang es dem Bundestrainer Marco Sturm die deutsche Nationalmannschaft auf Platz 8 der IIHF-Weltrangliste zu führen.1 Die Nationalmannschaft steht also so gut da wie seit 2011 nicht mehr.

Doch trotzdem schlägt der Bundestrainer Alarm:
„Wenn mich jemand fragt, ob das Niveau in den letzten Jahren in der DEL gestiegen ist: Ich finde nicht!“
Und:
„Ich denke, dass in den nächsten Jahren der ein oder andere erfahrene Spieler nicht mehr dabei sein wird. Und von den jungen Spielern kommt […] ziemlich wenig nach. Von daher wird die Situation eigentlich schwieriger.“2

Folgerichtig setzt Marco Sturm als Ziel die Verteidigung des achten Platzes und mahnt davor zu stark nach oben zu schauen. Doch wie kommt der Bundestrainer zu so einer vernichtenden Einschätzung? Das möchte ich heute untersuchen.

Internationaler Vergleich

Zunächst möchte ich die Voraussetzungen des deutschen Eishockeys international vergleichen. Hierzu habe ich mir die ersten 20 Nationen der Weltrangliste angesehen.3 Zunächst möchte ich die Anzahl der Jugendspieler vergleichen:

Land Jugendspieler Weltranglistenrang
Kanada 442163 1
USA 332003 5
Russland 88442 2
Schweden 42081 3
Finnland 39216 4
Tschechien 26999 6
Schweiz 14382 7
Deutschland 13144 8
Frankreich 10651 13
Slowakei 8554 11
Norwegen 5740 9
Kasachstan 5583 17
Österreich 4458 16
Ungarn 4054 19
Italien 3951 18
Weißrussland 3567 10
Dänemark 2449 14
Polen 2263 20
Lettland 1921 12
Slowenien 822 15

Deutschland steht hier auf einem achten Platz. Allgemein weicht die Reihenfolge unter den ersten 8 Nationen nicht groß von der Weltranglistenposition ab. Es besteht also logischerweise eine Korrelation zwischen Weltranglistenposition und der Anzahl der Jugendspieler. Denn wer mehr Jugendspieler hat, kann aus einem größeren Pool schöpfen. Länder wie Norwegen und Weißrussland zeigen aber auch, dass Quantität nicht alles ist.

Wenn man nun den Anteil der Jugendspieler an der Gesamtbevölkerung bildet, liegt Deutschland auf dem 17. Platz.

Land Jugendspieler Bevölkerungsanteil
Kanada 442163 1,25%
Finnland 39216 0,71%
Schweden 42081 0,43%
Tschechien 26999 0,25%
Schweiz 14382 0,18%
Slowakei 8554 0,16%
Norwegen 5740 0,11%
USA 332003 0,10%
Lettland 1921 0,10%
Russland 88442 0,06%
Österreich 4458 0,05%
Dänemark 2449 0,04%
Slowenien 822 0,04%
Ungarn 4054 0,04%
Weißrussland 3567 0,04%
Kasachstan 5583 0,03%
Deutschland 13144 0,02%
Frankreich 10651 0,02%
Italien 3951 0,01%
Polen 2263 0,01%

Es wird deutlich, dass Deutschland keine Eishockeynation ist. Klar, Fußball thront über allen anderen Sportarten, doch auch Handball und Basketball liegen, zumindest nach Mitgliedern, weit vor Eishockey. Insgesamt liegt Eishockey auf dem 43. Rang innerhalb des Olympischen Sportbundes.4

Vergleich der Sportarten

Der eklatante Unterschied zu anderen Ballsportarten ist es, dass man im Eishockey erst ‚neu‘ laufen lernen muss. Während im Fußball, Handball, Basketball, usw. die Fähigkeit zu laufen bereits gegeben ist, wird bei den Bambinis im Eishockey erst einmal eine ‚Laufschule‘ durchgeführt. Es ist also essentiell, Kinder möglichst früh an das Schlittschuhlaufen zu gewöhnen. Denn auch im Erwachsenenalter unterscheiden sich Profispieler oft in ihrer Fähigkeit ‚Laufen‘ zu können. Das wird sich auch nicht in absehbarer Zeit ändern lassen, denn Eishockey lässt sich nur dort spielen, wo auch eine entsprechende Eisfläche zur Verfügung steht. So sind fast alle deutschen Eishockeyspieler auch dort geboren, wo sie das Eishockeyspielen erlernten. Sinan Akdag, neben Yasin Ehliz der einzige Deutsch-Türke in der DEL, sagt dazu: „Aber ich bin in Rosenheim gleich neben der Eishalle aufgewachsen, da kommt man automatisch zum Eishockey.“5

Wie steht es nun um die theoretische Möglichkeiten deutscher Jugendspieler auf Eiszeit?

Land Eisflächen Jugendspieler pro Eisfläche
Kasachstan 365 15
Russland 3143 28
Polen 57 40
Schweiz 304 47
Deutschland 261 50
Kanada 8300 53
Italien 70 56
Österreich 75 59
Ungarn 57 71
Frankreich 125 85
Schweden 492 86
Weißrussland 41 87
Dänemark 26 94
Lettland 18 107
Slowakei 78 110
Slowenien 7 117
Norwegen 48 120
Finnland 306 128
USA 2535 131
Tschechien 206 131

Deutschland bietet ziemlich viele Eisflächen pro Jugendspieler, auf einem Niveau mit Kanada oder der Schweiz. Doch trotzdem liefern die anderen beiden Nationen viel bessere Jugendarbeit. Aufgrund der nahezu gleichen Anzahl Jugendspieler und der Quote der Eisflächen, werde ich im Verlauf des Artikels das deutsche mit dem schweizerischen Eishockey vergleichen. (Mir ist dabei bewusst, dass die NLA eine viel rigorosere Ausländerregel hat als die DEL.)

Situation in der höchsten deutschen Spielklasse

Als die DEL 1994 gegründet wurde, hatte das deutsche Eishockey gerade eine Serie von Insolvenzen hinter sich. Doch auch alle anderen Teams hatten einen Berg von Schulden angehäuft. Deswegen standen bei der Gründung dieser Liga finanzielle Aspekte im Vordergrund, weshalb zunächst ohne Auf- und Abstiegsregelung gespielt wurde. In den Saisons 96/97, 99/00 und von 01/02 bis 06/07 wurde dies aber kurzzeitig wiedereingeführt.6

Doch was sind die Probleme der DEL?7

Zuallererst ist die DEL eine sehr alte Liga – im Schnitt 27,89 Jahre alt. 9 Teams sind im Schnitt älter als 28. Einzig Krefeld mit einem Altersschnitt von 25,43 kann als junges Team bezeichnet werden. Dies liegt allerdings nicht an den deutschen Spielern, diese sind im Schnitt 26,54 Jahre alt.

Das Problem ist aber nicht einmal das Alter der ausländischen Spieler. Schließlich wechseln viele Stars aus der NHL – wenn sie denn überhaupt nach Deutschland wechseln – erst in hohem Alter in die DEL. Problematisch ist vielmehr, dass zu viele Spieler aus dem Ausland mit einem deutschen Pass ausgestattet werden und somit nicht gegen das Ausländerkontingent zählen.

Im oben erwähntem Interview sagt Marco Sturm hierzu:
„Es gibt zu viele Ausländer, die einfach nur sehr mittelmäßig sind. Und das Ärgerliche ist, dass diese unseren jungen deutschen Spielern die Plätze wegnehmen.“
Und:
„Es ist ganz klar vorgegeben, dass die Ausländer reduziert werden müssen. Und ich finde auch, dass die ganzen eingedeutschten Spieler viel zu schnell einen Pass bekommen. Und das merkt man dann auch bei den jungen deutschen Spielern. So gut wie keiner meiner U23-Spieler erhält Eiszeit in der DEL. Das können wir uns im Prinzip aber nicht erlauben, wenn wir in der Top Acht der Welt spielen wollen. Wenn die Verhältnisse in der DEL so bleiben, können wir das dauerhaft nicht schaffen. Da bin ich fest davon überzeugt.“

Das Problem ist also bekannt und klar benannt. Die Ausländerregelung, die der Förderung junger einheimischer Spieler dienen soll, wird de facto einfach umgangen und ist somit nutzlos.

Derzeit beträgt der Anteil der eingebürgerten Spieler 25,38% aller deutschen Spieler in der DEL. Tendenz steigend. Dabei habe ich nur diejenigen gezählt, die auch im Ausland ihre Ausbildung erfahren haben. Besonders alarmierend ist, dass diese Spieler im Schnitt 29,33 Jahre alt sind. Unterm Strich machen diese Spieler gemeinsam mit den offiziellen Ausländern die Liga alt, denn wenn man nur die in Deutschland ausgebildeten Spieler berücksichtigt, ist deren Altersschnitt mit 25,59 Jahren relativ niedrig. Im Vergleich hierzu wurden gerade einmal 15 Spieler, die im Ausland ausgebildet wurden, in der Schweiz eingebürgert. Dies entspricht einem Prozentsatz von 5,58%.

Als nächstes habe ich mir die Herkunft der tatsächlich in Deutschland ausgebildeten Spieler angesehen. Das Ergebnis ist faszinierend, wenn auch nicht überraschend:

Anteil nach Bundesländern

Knapp die Hälfte der deutschen Spieler ist also in Bayern ausgebildet. Do, wo Eishoggey dahoam is, oder so. Allerdings sind nur 5 von 14 Vereinen der DEL aus Bayern. Jetzt kann es natürlich sein, dass diese alle bayrischen Spieler ausgebildet haben – ist aber unwahrscheinlich. Ich habe mir also die deutschen Spieler, ihrem jeweiligen Jugendverein (Stichjahr ist das 16. Lebensjahr) zugeordnet, angeschaut.

Jugendvereine deutscher Spieler

An der Spitze stehen also die Adler Mannheim und die Eisbären Berlin. Das hatte ich so erwartet. Überrascht war ich von Krefelds guter Jugendarbeit. Und dann kommen eben die bayerischen Traditionsvereine. Auffällig ist zudem, dass alle Vereine an der Spitze mehrere Eisflächen haben und so der Jugend genug Eiszeit garantieren können.
Interessanterweise sind die ersten elf Vereine in dieser Liste die elf Vereine, die an der Spitze der ewigen Tabelle der 1. Bundesliga stehen – wenn auch in anderer Reihenfolge.8 Allerdings wurden einige der Spieler noch bereits vor dem 16. Lebensjahr von einem anderen Verein verpflichtet.

Anteil verpflichteter Spieler

Viele Vereine der DEL, wie Mannheim, Köln oder Düsseldorf, verpflichten viele Spieler sehr jung. Viele davon wiederum aus Bayern. Ich bin jetzt bestimmt niemand, der groß auf Tradition rumreitet, aber das deutsche Eishockey hat ein Traditionsproblem. Die meisten Spieler der höchsten Spielklasse kommen von Traditionsvereinen aus bayerischen Kleinstädten, die nicht in der DEL spielen. Ob Landshut, Bad Tölz, Garmisch-Partenkirchen, Füssen, Kaufbeuren, oder Rosenheim. Alle sind zwischen 1997 und 2006 aus der DEL abgestiegen und konnten seither nicht mehr aufsteigen. Bereits in meinem Artikel über den niederländischen Fußball, hatte ich die Theorie geäußert, dass bei Spielern, die früh wechseln „müssen“, die Wahrscheinlichkeit zu scheitern steigt. Dies ist hier auch der Fall. Wer in der Nationalmannschaft oder der höchsten deutschen Spielklasse spielen möchte, muss quasi schon früh den Verein wechseln. In der Schweiz spielen die zwölf Vereine, die die meisten Jugendspieler ausbilden, auch allesamt in der höchsten Spielklasse.

Vergleich mit der Schweiz

Zum Abschluss habe ich mir noch die Datenmenge, nach Positionen unterteilt, angesehen und mit der Nationalmannschaft der letzten drei Jahre verglichen.

Position Kaderplätze Anteil Durchschnittsalter in der Liga Durchschnittsalter in der Nationalmannschaft
Torhüter 2 14,9% 26,6 30,4
Verteidiger 7 28,7% 25,6 27,9
Stürmer 12 56,3% 23,9 29,3

Der Anteil deutscher Torhüter übersteigt den erwartbaren Anteil um einiges. Zudem sind deutsche Torhüter im Schnitt jünger – allerdings nicht in der Nationalmannschaft. Dadurch zeigt sich, dass bei vielen Vereinen der zweite oder dritte Torhüter mit einem jungen deutschen Spieler besetzt wird, diese jedoch kaum zum Einsatz kommen. Denn die Erfahrung zeigt, bei Verletzungen des Stammtorhüters wird lieber ein zusätzlicher Ersatzmann verpflichtet. Ohne Chance werden aus ihnen eben auch keine Nationalspieler und so ist kein einziger der deutschen Torhüter in der Nationalmannschaft 25 oder jünger.

Im Gegenzug dazu gibt es zu wenige deutsche Verteidiger. Lediglich 28,74 statt erwartbaren 33,33% der deutschen Spieler sind Verteidiger. Zudem ist die Verteidigungsposition die älteste, sowohl in der Liga als auch in der Nationalmannschaft. Konrad Abeltshauser ist mit 25 Jahren noch der jüngste Nationalverteidiger.

In der Schweizer Liga ist mir eine derartige Abweichung nicht aufgefallen, zudem bestehen auch keine großen Unterschiede bezüglich des Alters zwischen den Positionen.

Was ist also die Lösung der Probleme?

Ich würde eine Abschaffung der Ausländerregel – ja, richtig gelesen – und eine Einführung einer Jugendspielerquote an deren Stelle begrüßen. Ausländer sind per se kein Problem, wenn sie das allgemeine Niveau der Liga steigern und nicht nur wegen des deutschen Zweitpasses oder der Aussicht auf einen solchen verpflichtet werden. Denn schlussendlich geht es um die Förderung junger Talente und nicht die Beschränkung ausländischer Spieler. Unter einer solchen Regel könnte dies effektiver geschehen. Mit der Verpflichtung, mindestens vier selbst ausgebildete Jugendspieler im Spiel einzusetzen, werden auch die DEL-Vereine, die bisher nichts zum deutschen Eishockeynachwuchs beitragen, zur Jugendförderung animiert. Zudem kann die Quote deutscher Spieler, mit einer Vorgabe zum Einsatz der in Deutschland Ausgebildeten, weiterhin eingehalten werden. Allerdings müsste eine solche Regel schrittweise eingeführt werden, und in dieser Zeit weiterhin die bestehende Ausländerregel gelten, da zum jetzigen Stand gerade einmal vier Vereine diese Regel erfüllen würden, nämlich Krefeld, Berlin, Mannheim und Köln. In der Schweiz würden alle Vereine diese Vorgabe erfüllen, wenn auch zwei nur knapp.

Zudem sollte über die Wiedereinführung eines achten Verteidigers nachgedacht werden. Es ist offensichtlich, dass es als Verteidiger schwerer ist Fuß zu fassen, da man als junger Spieler oft auf der 7. Position geparkt wird und in Schlüsselsituation selten eingesetzt wird. Durch die Wiedereinführung der vierten Reihe könnten junge Spieler mit einem festen Partner regelmäßig Spielzeit erhalten. International besteht ein Kader sowieso aus 22 Spielern.9

Außerdem würde ich mir eine Wiedereinführung des Auf- & Abstiegs wünschen, um die Vereine der zweiten Liga mit guter Jugendarbeit zu belohnen. So könnten diese Vereine ihre Spieler länger halten und es schwindet die Gefahr des Scheiterns durch zu frühe Wechsel.

Bei einer möglichen Expansion würde es sich vielleicht sogar lohnen, Vereine mit guter Jugendarbeit besonders zu berücksichtigen. Das heißt nicht, wirtschaftliche Gesichtspunkte völlig außen vor zu lassen, aber mit dem EV Landshut, dem SC Riessersee und den Starbulls Rosenheim erfüllen drei der traditionellen bayrischen Eishockeyvereine den 9000-Punkte-Plan, der zumindest das jeweilige Stadion auf Bundesligatauglichkeit prüft.10

Zusätzlich lässt sich natürlich immer streiten, ob an der Ausbildung an sich etwas verbessert werden kann. Doch auch so verschwendet das deutsche Eishockey enormes Potenzial, womit man, wenn es ausgeschöpft wird, einiges bewegen könnte.

Anhang: Ausländeranteil in Europa

1. http://www.iihf.com/home-of-hockey/championships/world-ranking/mens-world-ranking/2017-ranking/
(abgerufen am 04.11.2017)

2. https://shop.eishockeynews.de/del-sonderheft-2017-18-mit-allgemeinen-cover.html
(abgerufen am 04.11.2017)

3. http://www.iihf.com/iihf-home/countries/
(abgerufen am 04.11.2017)

4. https://www.dosb.de/fileadmin/sharepoint/Materialien {82A97D74-2687-4A29-9C16-4232BAC7DC73}/Bestandserhebung_2015.pdf#page=11
(abgerufen am 04.11.2017)

5. http://www.tagesspiegel.de/sport/sinan-akdag-der-stolz-der-familie/1356620.html
(abgerufen am 04.11.2017)

6. https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Eishockey_Liga#Geschichte
(abgerufen am 04.11.2017)

7. Alle Daten von: http://www.eliteprospects.com/
(abgerufen am 04.11.2017)

8. https://de.wikipedia.org/wiki/Ewige_Tabelle_der_Eishockey-Bundesliga
(abgerufen am 04.11.2017)

9. http://www.iihf.com/fileadmin/user_upload/PDF/Sport/IIHF_Official_Rule_Book_2014-18_Web_V6.pdf#page28
(abgerufen am 04.11.2017)

10. https://de.wikipedia.org/wiki/9000-Punkte-Plan
(abgerufen am 04.11.2017)

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